Skalierte Agilität – Transformation und Innovation mit OKRs steuern (II)
Komplexe Softwaresysteme für große Unternehmen wirklich agil zu entwickeln, stellt uns vor Herausforderungen auf vielen Ebenen: kulturell, organisatorisch, finanziell, infrastrukturell oder architektonisch. In unserer Blogserie betrachten wir verschiedene Probleme der skalierten Agilität aus ganzheitlicher Unternehmenssicht und versuchen, praktische Verbesserungsvorschläge zu geben.
Im ersten Teil unseres Artikels zu Objective Key Results (OKRs) haben wir illustriert, was OKRs sind und was sie nicht sind. Daran anschließen beleuchtet dieser Beitrag nun die Praxis, insbesondere ihren wirkungsvollen Einsatz in agilen Organisationen. Wir stellen unser erweitertes OKR-Schema vor, das dabei hilft, qualitativ hochwertige OKRs für unterschiedliche Kontexte zu definieren und in moderne agile Steuerungswerkzeuge zu integrieren. Dabei können Unternehmen sowohl manuell als auch automatisch über technische Sensoren erfasste Daten berücksichtigen.
OKRs in der agilen Praxis
In den vergangenen Jahren haben wir das folgende generalisierte OKR-Schema entwickelt, das sich für Schulungen, Projekte und als Blaupause für die Definition von OKR-Dashboards (Tools) bewährt hat. Das Schema hilft dabei, sich Klarheit über Kontext, Zweck und Ausrichtung zu verschaffen und zudem deren Messbarkeit und Nachhaltung von OKRs zu betonen.
Kontext: OKRs können auf verschiedenen Ebenen (Kontexten) eines agilen Frameworks angewendet werden – vom Unternehmen und Portfolio bis zum einzelnen Team, wobei OKRs auf niedrigeren Aggregationsebenen OKRs auf höheren Ebenen berücksichtigen und/oder verfeinern sollten. OKRs lassen sich daher perfekt in agilen Organisationen einsetzen, da sie Ausrichtung, Verantwortlichkeit, Fokus und Priorisierung unterstützen.
Zweck: OKRs lassen sich auf zwei Weisen zur Definition und Verfolgung von Zielen einsetzen: zur Bereitstellung neuer Kundenlösungen (innovativ) und für interne Veränderungsprogramme (transformativ).
Metrik und Plan: Der KR-Teil (Key Results) wird durch eine Metrik oder Formel plus Plan definiert. Ein Plan ist definiert als eine Reihe von Tripeln (Zeit, Zielwert, aktueller Wert). Abhängig von der Art der Metrik können aktuelle Werte automatisch durch technische Sensoren generiert (z. B. Webseiten-Rücklaufquote) oder manuell durch einen OKR-Verantwortlichen bereitgestellt werden (z. B. Marktanteil).
OKRs und MVPs
Eine wichtige Anwendung von OKRs im agilen Kontext ist die Bemessung von MVPs (Minimum Viable Products). Sowohl die Nutzenhypothese einer großen Initiative (z. B. Portfolio Epic in SAFe) als auch Indikatoren, die ein MVP adressieren, können als ein einziges OKR modelliert werden, nämlich
- durch eine einzige Metrik und einen dazugehörigen Plan mit (mindestens) zwei Zielwerten, oder
- durch zwei Metriken, wobei die erste den Proxy-Indikator zur MVP-Zeit darstellt.
NFRs (Non-Functional Requirements) sollten übrigens nicht durch ein OKR modelliert werden. Obwohl durch die Verwendung unseres Schemas technisch möglich, stellen NFRs verbindliche Qualitätsbeschränkungen und keine angestrebten Ziele an sich dar.
Insgesamt sehen wir also, dass OKRs und skalierte Agilität wunderbar harmonieren. Auch die Tatsache, dass OKRs regelmäßig adaptiert werden sollten, passt gut zur agilen Kultur des „Inspect & Adapt“. Damit ist auch unsere Frage vom Anfang beantwortet: Wie gehen wir mit überambitionierten Zielen um? Sie werden als Teil eines Inspect & Adapt-Meetings im Dialog angepasst. So einfach!
OKRs durchsetzen – wirklich?
Selbstverständlich können und sollen OKRs nicht einfach so durchgesetzt oder gar erzwungen werden. OKRs werden dezentral und mit einem gewissen Maß an Autarkie definiert. Wie immer im Agilen entfalten auch OKRs ihre Kraft aus Vereinbarungen zwischen betroffenen Rollen und Menschen. Wie aber kann dann Verbindlichkeit erreicht werden? Wie kann "das Management" sicher sein, dass auch in den Teams die verabschiedeten OKRs befolgt und umgesetzt werden?
Unserer Meinung nach zunächst durch vier "weiche" Faktoren: Beschränkung der Anzahl von OKRs (weniger ist mehr), Transparenz und einfache Zugänglichkeit (hier kann sicherlich auch ein Tool helfen), Mitsprache beziehungsweise Empowerment auf verschiedenen Ebenen sowie Alignment durch Kommunikation und Kooperation.
Es gibt noch eine fünfte, "harte" Maßnahme. Zusammen mit der Definition der umzusetzenden Produkt-Features einer großen Initiative (Portfolio Epic) kann die relative Relevanz eines Features bezüglich der "Solution OKRs" in Prozent festgelegt werden, zum Beispiel durch das Product Management und den System Architect. Mit einem Balkendiagramm lässt sich dann der Erfüllungsgrad eines jeden OKRs für alle Team-Mitglieder nachvollziehbar visualisieren.
Eine weitere Frage vom Anfang unseres Artikels im Kontext der agilen Steuerung ist noch offen: Ersetzen OKRs Roadmaps? Wir sind fest davon überzeugt, dass dies nicht der Fall ist, auch wenn OKRs selbst einen Plan enthalten. Im Gegensatz zu ergebnisorientierten OKRs definieren Roadmaps konkrete Ergebnisse. Beide Konzepte ergänzen sich also.
Interaktives OKR-Dashboard: Mit OKRs steuern
Wie können wir nun in der Praxis effektiv mit OKRs arbeiten, also die Erfolgsfaktoren Transparenz, Zugänglichkeit und Anpassungsfähigkeit in der täglichen Praxis verankern? Unsere Antwort lautet: Ein interaktives OKR-Dashboard kann den Unterschied ausmachen. In kleinen Organisationen mag hier ein Excel-Sheet gute Dienste tun. In größeren Unternehmen wird man um ein spezifisches OKR-Tool beziehungsweise ein professionelles Controlling-Werkzeug nicht herumkommen.
Schauen wir uns dazu ein Beispiel für ein Dashboard an, implementiert auf MS Power BI mit den OKRs unserer Anwendung co.bo (compliance bot). Es handelt sich hier um ein Office Add-in im Rahmen von MIP (MS Information Protection) zur KI-gestützten Klassifizierung von Dokumenten in Vertraulichkeitsklassen. Die rot unterlegten Felder sind die Objectives, grau die Metriken, und der Plan mit den Soll-Werten ist in blau gekennzeichnet. Jede Metrik und ihre Soll-Werte sind zudem graphisch visualisiert.
Das muss ein OKR-Dashboard können
Was muss ein gutes Tool leisten, damit es als interaktives OKR-Dashboard genutzt werden kann? Unserer Meinung nach sollte es idealerweise fünf Merkmale aufweisen:
- Modulare Visualisierung: Flexibel auf dem Dashboard platzierbare OKR-Objekte kapseln das OKR-Schema und stellen die dazugehörigen Metriken grafisch ansprechend dar. Dabei sind insbesondere Sollwerte beziehungsweise Soll-Ist-Abweichungen hervorzuheben. Über Filter lassen sich Maßstab und sichtbares Zeitfenster der Metrik einstellen.
- Ist-Werte-Eingabe: Ist-Werte können entweder über die Verbindung zu externen Sensoren automatisiert eingelesen (in unserem Fall über MS Azure Logs) oder durch eine autorisierte Rolle manuell eingegeben werden.
- Planadaption: Der Plan (Soll-Werte und Messwerte) kann angepasst werden.
- Beinahe-Echtzeit: Die Auswertung und Aktualisierung der dargestellten Werte erfolgt regelmäßig.
- Feedback: Über einen Knopf können einfach Kommentare und Rückmeldungen zu Werten oder Fehlfunktionen gegeben werden.
Fazit
OKRs sind ein mächtiges Werkzeug für agile Unternehmen auf ihrem Weg zur ganzheitlichen Business-Agilität. Sie fördern die Kommunikation, Transparenz und Abstimmung zwischen Interessengruppen und Experten aus verschiedenen Bereichen über die Strategie und deren Umsetzung auf jeder Ebene. OKRs unterstützen die Reaktionsfähigkeit, da sie ständig neu bewertet und bei Bedarf angepasst werden können. Ein generisches OKR-Template in Kombination mit einem flexiblen OKR-Dashboard kann dabei wertvolle Hilfe leisten.
Dennoch: Wichtiger als Tools sind ein gutes Verständnis und Gespür für Qualität und Menge von OKRs. Im Zweifel gilt: Weniger ist mehr! Wichtig ist die Fokussierung auf das strategisch Wesentliche. Nur dann entfalten OKRs ihre volle Kraft und tragen gleichermaßen zur effektiven agilen Steuerung von internen Transformationen wie innovativen Kundenlösungen bei.
Co-Autor: Stefan Hanslmaier (Allianz – XING)
Quelle Titelbild: AdobeStock/Andreas Berheide