MMIGIT in der Praxis: Der Sparplan für das Energiekonto Ihrer IT im Schnelldurchlauf
Als Best-Practices-Sammlung für eine nachhaltige IT beschreibt das Maturity Modell Integrated Green IT (MMIGIT) nicht nur die fünf Reifestadien einer „grünen“ IT, sondern auch die Wege, die dorthin führen. Sie sind alle miteinander verbunden und müssen deshalb im Zusammenhang betrachtet werden.
Wie lässt sich der Energiehunger der Unternehmens-IT zügeln? Auf diese Frage gibt es eine ganze Reihe von Antworten. Konkret haben wir bei metafinanz 22 Disziplinen identifiziert, die jede für sich, aber mehr noch im Zusammenspiel, zu einer nachhaltigen IT beitragen. Vollständig aufgelistet sind sie im MMIGIT, dessen fünf Reifestufen wir im Artikel „Mit dem MMIGIT Schritt für Schritt zu einer grüneren IT“ vorgestellt haben.
Holistische Lösung statt Stückwerk
Das MMIGIT unterteilt die Disziplinen in vier Dimension: 1. Techniklösungen, 2. soziale Maßnahmen, 3. Energieeffizienz und 4. Paradigmenwechsel. Zudem ordnet der „Reiseführer“ zu einer grüneren IT alle Maßnahmen jeweils den Reifestufen zu, auf denen sie ihre Wirksamkeit entfalten.
Jetzt und hier liegt uns jedoch weniger daran, jede einzelne Disziplin getrennt zu beschreiben. Vielmehr möchte ich an einigen Beispielen nachweisen, dass die unterschiedlichen Dimensionen nicht nur Schnittstellen bilden, sondern oft unmittelbare Zusammenhänge haben. Ohne Umweltbewusstsein im Unternehmen (gestärkt durch die „Social Solutions“) lassen sich technische Lösungen nicht sinnvoll nutzen. Ohne einen Paradigmenwechsel bleiben Energiesparmaßnahmen („Environmental Solutions“) Stückwerk.
Was bedeutet Paradigmenwechsel?
Der wissenschaftsphilosophische Begriff „Paradigma“ bezeichnet ein Denkmuster, das dem allgemein akzeptierten Handeln zugrunde liegt. Ein Paradigmenwechsel bedeutet zunächst einmal, die Dinge neu zu denken. Im Hinblick auf eine grüne IT ist das Ergebnis dieser Denkarbeit: Der On-Premises-Betrieb monolithischer Systeme ist nicht mehr zeitgemäß. Er ist ineffizient, denn er verschlingt überproportional viel Energie, von Zeit und Geld ganz zu schweigen, und hat damit auch einen monetären Aspekt.
Der überfällige Paradigmenwechsel hat deshalb zwei Komponenten: Cloudifizierung und Microservices. Im klassischen Data Center können die vorhandenen Ressourcen nicht optimal genutzt werden; in der typischen Cloud wird die Effizienzsteigerung schon alleine durch einen höheren Nutzungsgrad erreicht. Hinzu kommen die Vorteile des „Time Shifting“ und „Location Shifting“. Diese beinhalten die Weiterleitung eingehender Anfragen für Business-Applikationen an Standorte, an denen zum jeweiligen Zeitpunkt viel grüne Energie zur Verfügung steht. Location Shifting bedeutet dabei die Ausführung eines Requests an einem Ort der Cloud; Time Shifting meint einen Paradigmenwechsel derart, dass Batch-Jobs, also systemnahe Aufgaben, die automatisiert im Hintergrund und nahezu ohne User ablaufen, nicht mehr nachts, sondern tagsüber nach dem "Follow-the-Sun"-Prinzip ausgeführt werden.
Die Aufspaltung der Softwaremonolithen in Microservices – unterstützt durch intelligente und flexible Speicherung – reduziert darüber hinaus den Datenverkehr, indem jeweils nur ein kleiner Teil des Gesamtsystems über das Netz geschickt werden muss. Das kann den CO2-Fußabdruck der IT enorm verkleinern.
Erwartung und Erziehung
Damit IT-Bereiche und -User diese Argumentation akzeptieren, sind jedoch Aufklärungsarbeit und Erwartungs-Management notwendig, beides eine Domäne der sozialen Lösungen. Das heißt, dass die Erwartungshaltung der User bezüglich Wartezeiten verändert wird. Auch in den Fachbereichen der Unternehmen muss ein entsprechender Mindshift erfolgen, da diese solche Antwortzeitverhalten der Systeme in die Anforderungen schreiben.
Energie sparen in Architektur, Code und Daten
Paradigmenwechsel und die Bewusstseinsbildung schlagen sich in den technischen Lösungen nieder. Dazu zählen grüne Architektur, grüne Codierung und grünes Daten-Management. Plakativ ausgedrückt dient eine grüne (Software-) Architektur dazu, den Energiebedarf beim Hosting zu senken. Green Coding hingegen bezeichnet die Fähigkeit, effiziente Algorithmen zu schaffen, die möglichst wenig CPU, also Central Processing Unit bzw. Prozessor, beanspruchen. Grünes Daten-Management ist darauf ausgerichtet, den Speicherbedarf und den internen Netzverkehr so weit wie möglich zu verringern – zum Beispiel, indem nicht mehr oder selten genutzte Daten gelöscht beziehungsweise aus dem täglichen, operativen Zugriff entzogen werden.
Der AI den Appetit verderben
Je ausgereifter die IT-Umgebung eines Unternehmens ist, desto mehr Künstliche Intelligenz wird sie nutzen. Das ist Segen und Fluch zugleich. Einerseits können selbstlernende Systeme dazu dienen, die IT zu optimieren, andererseits entwickeln sie einen ständig steigenden Energiehunger. Denn KI-Systeme sind quasi die Kohlekraftwerke der IT.
Der Großteil des benötigten Stroms geht auf das Konto von Training-Sessions. Lässt sich deren Anzahl reduzieren, sinkt der Verbrauch spürbar. Ohne Frage sollten AI-Systeme, die beispielsweise für die Steuerung von medizinischen Geräten oder anderen Geräten, die potenziell eine lebensbedrohende Wirkung entfalten können, optimal trainiert sein. Doch andere Anwendungen – wie beispielsweise Shopping-Systeme – kommen sicher auch mit weniger präzisen Vorhersagen aus. Dort wäre eine Menge Energie einzusparen.
Biomorphe Systeme – mehr als Science-Fiction
Für Unternehmen, die sich intensiv mit AI-Anwendungen beschäftigen wollen, lohnt sich ein genauerer Blick auf die innovativen Hardwarearchitekturen, die sich am Horizont abzeichnen: Quantencomputer arbeiten effektiver als die herkömmlichen Von-Neumann-Architekturen, gemeint sind bisherige Schaltungskonzepte zur Realisierung universeller Rechner, weil sie unterschiedliche Informationen nicht sequenziell, sondern parallel behandeln. Allerdings benötigen sie derzeit noch extrem niedrige Temperaturen – nahe dem absoluten Nullpunkt von -273 Grad Celsius. Das mindert ihre Energieeffizienz deutlich. Neuere Forschungsergebnisse nähren jedoch die Hoffnung, dass sich diese Einschränkung überwinden lässt.
Die eigentliche Hardwareentsprechung der AI sind jedoch die biomorphen Systeme. Da sie die Struktur des menschlichen Gehirns nachbilden, prägen sie auch dessen Stärken aus, zum Beispiel die hohe Resilienz gegenüber Ausfällen und Schäden an der Gesamtarchitektur sowie das beinahe intuitive Erkennen komplexer Muster. Darüber hinaus zeichnen sich diese Systeme durch einen sparsamen Energieverbrauch aus. Derzeit sind sie noch in der Entwicklung. Ein Studienprojekt am Institut für Neuroinformatik der TH München weist jedoch nach, dass diese Technologie längst keine Science-Fiction mehr ist.
Fazit: Paradigmenwechsel muss alle einbeziehen
Auch dann, wenn alle Bereiche im Zusammenhang betrachtet und die notwendigen Lösungen eingesetzt werden bzw. durch Cloudifizierung und innovative Technologien die Möglichkeit besteht, die IT nachhaltig zu betreiben, braucht es für den nötigen Paradigmenwechsel ein gutes Change Management. Damit diese Entwicklungen auch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getragen werden und das entscheidende Mindset entsteht.
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#2 Mit dem MMIGIT Schritt für Schritt zu einer grüneren IT
#4 MMIGIT: Wie sich die Reifestufen des Green Coding leichter erklimmen lassen
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Quelle Titelbild: AdobeStock/Digital Vision Lab