Der Data Act stützt die europäischen Werte im Umgang mit Daten
Dieser Spruch sorgt immer noch für Heiterkeit: „In den USA entstehen die Innovationen, in Asien werden sie umgesetzt, und in der EU durch Regulierungen ausgebremst.“ In einigen Fällen ist das vielleicht nicht ganz aus der Luft gegriffen. Dennoch will ich hier eine Lanze für EU-Verordnungen wie den Data Act brechen: Sie helfen, trotz der momentan vorherrschenden Goldgräberstimmung Werte wie demokratische Teilhabe und Fairness zu erhalten.
Ende Juni dieses Jahres hat sich das EU-Parlament auf den Vorschlag für ein Datengesetz geeinigt. Während sich die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Europäischen Union dem Schutz der Persönlichkeitsrechte – Stichwort Privacy – widmet, soll der „Data Act“ den Zugang zu und die Nutzung von nicht personenbezogenen Informationen regeln. Dazu gehören beispielsweise Maschinendaten, wie sie unter anderem für das Training von KI-Algorithmen erforderlich sind.
Aber ich möchte an dieser Stelle gern ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema Besitz und Nutzung von Daten teilen. Da existieren tatsächlich Disbalancen.
Nicht ganz überraschend hat das EU-Parlament festgestellt, dass 80 Prozent aller in der Industrie erhobenen Daten überhaupt nicht genutzt werden. Smartphones, Smart Cars, Smart Homes und Smart Factories erzeugen Tag für Tag Myriaden von Daten. Aber es fehlen Applikationen, die etwas Sinnvolles mit diesen Daten tun. Zudem sind diese Daten am Ort ihres Entstehens bisweilen weniger interessant, als sie es vielleicht in einem fremden Unternehmen wären, das jedoch keinen Zugriff auf sie hat.
Netzwerke und Wettbewerb anstelle von Monopolen
Mit dem Data Act soll deshalb – im Gegensatz zur DSGVO – die Datennutzung nicht etwa eingeschränkt werden. Vielmehr will das EU-Parlament damit vor allem die rechtlichen Voraussetzungen für die Weitergabe und gemeinsame Nutzung der Daten schaffen. So könnte die neue Verordnung helfen, die allgemeine Datenkompetenz in den europäischen Unternehmen zu steigern und zahlreiche Innovationen im Produkt- und Servicesektor zu befeuern.
Gleichzeitig geht es darum, den schnell wachsenden Markt für Business-relevante Daten nicht einfach den – heute meist US-amerikanischen, künftig sicher auch asiatischen – Konzernen zu überlassen. Die europäischen Applikationshersteller, darunter viele kleine und mittelständische Unternehmen, sollen die Möglichkeit erhalten, auf den gewaltigen Schatz dieser „Datenkraken“ zuzugreifen, um ihrerseits konkurrenzfähig zu werden, sich an der Datenwirtschaft zu beteiligen und selbständig Innovationen zu entwickeln.
Darüber hinaus wird es einfacher werden, Daten zu und zwischen den Serviceanbietern zu übertragen. Auf diese Weise könnte sich ein lebendiger Aftermarket bilden, auf dem unabhängige Dienstleister gleichberechtigt mit den Services der Hersteller wetteifern. Das eröffnet den Nutzern die Möglichkeit, zum Beispiel Reparatur- und Wartungsarbeiten von einem Anbieter ihrer Wahl ausführen zu lassen und gegebenenfalls von niedrigeren Preisen zu profitieren. Damit ließe sich auch die Lebensdauer vernetzter Produkte verlängern, was den Zielen des „Grünen Deals“ entgegenkäme.
Last, but not least lässt sich in der Industrie beispielsweise der Werksbetrieb optimieren, wenn Daten über die Funktionsweise der jeweiligen Anlage allgemein verfügbar sind. Landwirte hingegen könnten Daten aus vernetzen Geräten, beispielsweise Echtzeitinformationen über Wetterlage, Lufttemperatur und -feuchtigkeit oder Saatgut- und Getreidepreise, zusammenführen und analysieren, um ihren Ertrag zu optimieren.
Demokratie in Zeiten des Goldrausches
In den USA und in Asien ist die Hierarchie der Werte eine andere als in Europa. Manche sagen: Im Business, zumal in der Hightech-Branche, herrsche dort so etwas wie Wildwest-Mentalität. Jedenfalls gilt es nicht unbedingt als verwerflich, schwächere Konkurrenten und die Verbraucher:innen außen vor zu lassen. Das ist in Europa doch anders: In den Begründungen zum Data Act fällt häufig der Begriff Fairness. Wer Daten erzeugt, soll auch von ihrer Auswertung profitieren, so der Plan. Das klingt erst einmal gut, doch wie soll das in der Praxis aussehen? Gewiss nicht so, wie es die „Cookie“-Klauseln auf den Websites umsetzen. Die eröffnen zwar theoretisch mehrere Auswahlmöglichkeiten, laufen aber meist darauf hinaus, dass der Prozess ohne umfassende Zustimmung einfach nicht reibungslos läuft. Zudem versteht kaum jemand wirklich, was sie oder er da mal eben abnickt.
Mehr Demokratie im Umgang mit Daten lässt sich auf diese Weise sicher nicht erzielen. Für einen fairen Deal ist es notwendig, dass beide Seiten etwas davon haben – die „Owner“ der Daten und die Organisationen, die damit ein Geschäft befördern. Der Data Act soll sicherstellen, dass nicht mehr nur eine Seite die Daten liefert und eine andere davon profitiert.
Leistungsstarker Motor für Innovationen, aber …
Der Ansatz ist zunächst einmal richtig: Beim Wettlauf um die digitalen Megaplattformen – also Plattformen, über die eine Vielzahl an Services laufen und die daher eine nahezu unbegrenzte Menge an Daten generieren – hat Europa den Startschuss überhört. Hier dominieren die USA. Und China müht sich nach Kräften, den Anschluss zu gewinnen. Aber Europa kann immerhin die Regeln definieren, nach denen zumindest in diesem Teil der Welt gespielt wird.
Deshalb sage ich dem Data Act ein herzliches Willkommen.
Er kann ein leistungsstarker Motor für Innovationen und neue Arbeitsplätze sein. Das Datengesetz wird sowohl Einzelpersonen als auch Unternehmen mehr Kontrolle über die Daten geben, die sie selbst mittels intelligenter Objekte, Maschinen und Geräte erzeugen und von denen bislang meist Andere profitieren. So öffnet es Räume für neue, zukunftsfähige Geschäftsmodelle europäischer Unternehmen unter Berücksichtigung von Fairness und Teilhabe in diesen neuen Marktfeldern der digitalen Wirtschaft.
Allerdings ist das EU-Gesetz sehr ambitioniert und nicht unumstritten. Es gibt einige (darunter auch große deutsche) Unternehmen, die es derzeit noch ablehnen. Die einen befürchten, dass sie gezwungen werden könnten, Geschäftsgeheimnisse preiszugeben. Die anderen wollen keine Wettbewerbsvorteile einbüßen, wenn ihre Mitbewerber künftig auf dieselben Daten zugreifen können wie sie selbst. Innerhalb der nächsten Monate wird der Data Act deshalb vermutlich noch einige Konkretisierungen erfahren – unter anderem hinsichtlich Kontrollmöglichkeiten und Sanktionen. Dazu mehr in einem späteren Artikel.
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