Maßgeschneiderte Software: So gelingt die digitale Transformation jenseits von Standards
Wenn Standardsoftware zur Sackgasse wird: Warum immer mehr Unternehmen bei Digitalisierung auf maßgeschneiderte Software setzen – und welche Chancen individuelle Lösungen für Prozesse und Wettbewerbsfähigkeit eröffnen.
Viele mittelständische Unternehmen hoffen mit Standardsoftware auf schnelle Effizienzgewinne. Doch in der Praxis zeigt sich, dass diese Lösungen oft nicht zu den tatsächlichen Abläufen und Anforderungen im Unternehmen passen. Das Ergebnis sind Brüche in den digitalisierten Prozessen, sinkende Akzeptanz unter den Beschäftigten und Schatten-IT, die im Verborgenen entsteht. Am Ende büßen Unternehmen strategische Flexibilität ein, statt sie zu gewinnen.
Individuelle Softwarelösungen stellen hier häufig die nachhaltigere Alternative dar. Sie sind kein technisches Extra, sondern bieten die passgenaue Unterstützung für die eigenen Abläufe – und das ist entscheidend für eine erfolgreiche Digitalisierung. Wie mittelständische Unternehmen digitale Strategien entwickeln können und so Technologie, Organisation und Compliance ganzheitlich verbinden, zeige ich im Artikel.
Standardsoftware: Was ist damit gemeint?
Unter Standardsoftware verstehen wir in diesem Kontext vorkonfigurierte Lösungen, die für eine breite Nutzergruppe entwickelt wurden, wie ERP-, CRM- oder HR-Systeme. Sie lassen sich zwar anpassen, folgen jedoch einem vorgegebenen Funktionsrahmen. Individualsoftware hingegen wird speziell für die Bedürfnisse eines Unternehmens entwickelt – sei es als komplette Lösung oder nur gezielte Erweiterungen bestehender Systeme.
Wenn Standardlösungen an ihre Grenzen stoßen
In vielen Unternehmen zeigen sich immer wieder ähnliche Muster: Zwar kommen moderne Systeme wie ERP-, CRM- oder Dokumentenmanagement-Lösungen zum Einsatz, doch eine durchgängige Automatisierung bleibt oft aus. Veraltete Komponenten ohne Schnittstellen verhindern die nahtlose Integration. Daten müssen manuell übertragen werden, was zu Medienbrüchen, Verzögerungen und Fehlerquellen führt.
Auch bei den Anforderungen an den Datenschutz wird es oft schwierig: Wenn Kundendaten an verschiedenen Stellen gepflegt werden und es keine klare Übersicht über Zugriffsrechte gibt, steigen die Risiken erheblich, zum Beispiel im Hinblick auf Vorgaben wie die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
Individuelle Anwendungen schaffen hier Abhilfe. Sie ermöglichen klare Rollen- und Rechtemodelle, integrierte Protokollierung und einheitliche Zugriffskontrolle – das erhöht Sicherheit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit.
Regulierung verstärkt den Handlungsdruck
Die regulatorischen Anforderungen an Unternehmen nehmen kontinuierlich zu, insbesondere im digitalen Raum. Die folgenden drei zentrale EU-Vorhaben verdeutlichen den wachsenden Anpassungsbedarf:
- Data Act: Verlangt von Unternehmen eine transparente, kontrollierbare und rechtssichere Nutzung von Daten - auch über Systemgrenzen hinweg.
- AI Act: Setzt neue Maßstäbe für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, insbesondere bei risikobehafteten Anwendungen und automatisierten Entscheidungen.
- Cyber Resilience Act: Schreibt deutlich strengere Anforderungen an die Sicherheit von Software und digitalen Produkten vor – von der Entwicklung bis zum Betrieb.
Individuelle Softwarelösungen hingegen lassen sich gezielt an neue regulatorische Rahmenbedingungen anpassen und werden damit zum strategischen Sicherheitsfaktor.
Prozessanalyse: Erst verstehen, dann digitalisieren
Digitalisierung beginnt nicht mit dem Tool, sondern mit der Klarheit über das „Was“ und „Warum“. Eine 2023 veröffentlichten Studie der Deutschen Gesellschaft für Informations- und Datenqualität (DGI) zeigt: Noch immer haben mehr als 70 Prozent der mittelständischen Unternehmen in Deutschland ihre End-to-End-Prozesse nicht vollständig dokumentiert. Häufig sind sie nur in den Köpfen erfahrener Kolleg:innen vorhanden, nicht aber dort, wo sie transparenter und steuerbar wären. Das erschwert sinnvolle Automatisierung und macht Organisationen abhängig von Einzelpersonen.
Wie wird dieses implizite Wissen sichtbar? In unserer Beratungspraxis haben sich verschiedene Ansätze bewährt:
Shadowing: Prozesse in Echtzeit verstehen
Hierbei begleiten Fachexpert:innen die Beschäftigten im Arbeitsalltag und erkennen, wie Aufgaben tatsächlich gelöst werden – einschließlich all jener Kniffe, die in keinem Handbuch stehen.
Systematische und grafische Prozessmodellierung (BPMN 2.0): Die gemeinsame Sprache von Fachbereich und IT
Mittels einer einheitlichen grafischen Sprache lassen sich Abläufe so darstellen, dass sowohl fachliche als auch technische Seiten verstehen, wie der Prozess funktioniert. Das schafft die Basis für spätere Automatisierung.
Value Stream Mapping: Wo entsteht Wert, wo Verschwendung?
Ursprünglich aus dem Lean-Management kommend, hilft Value Stream Mapping (VSM) aufzuzeigen, an welchen Stellen im Prozess Wert erzeugt oder Zeit verschwendet wird. So lassen sich gezielt Verbesserungen und Digitalisierungsvorhaben priorisieren.
Praxistipp: Viele Unternehmen kombinieren diese Methoden in Workshops, um strategische Klarheit zu schaffen. Besonders hilfreich ist ein „Digital Audit“ zu Beginn, um Schwachstellen strukturiert zu erfassen, auch unter regulatorischen Aspekten.
Die Kostenfrage strategisch betrachten
Individuelle Software wird von vielen Mittelständlern häufig als „teure Speziallösung“ missverstanden. Doch diese Sichtweise greift zu kurz. Die tatsächliche Wirtschaftlichkeit entsteht nicht allein durch Lizenzkosten oder Entwicklungsbudgets, sondern durch die Frage: Wie gut zahlt eine Softwarelösung auf die Wertschöpfung des Unternehmens ein – heute und in Zukunft?
Eine Total-Cost-of-Ownership-Betrachtung ist eine fundierte Bewertungsgrundlage und berücksichtigt alle Kosten über den gesamten Lebenszyklus der Software:
- Anpassungen und Schnittstellenentwicklung
- Schulungen und Change-Begleitung
- Wartung, Updates und Lizenzpflege
- Sicherheits- und Compliance-Kosten
- Rückbaukosten bei späterer Ablösung
Der Mehrwert individueller Lösungen
Individuelle Software kann strategische Vorteile schaffen, die sich klar bewerten lassen. Der echte Mehrwert entsteht durch:
- Höhere Produktivität durch bessere Usability
- Weniger Fehler und Nacharbeit
- Stärkere Kundenbindung durch passgenaue digitale Services
- Bessere Skalierbarkeit bei Unternehmenswachstum
- Schnellere Reaktion auf regulatorische Änderungen
Statt reiner Kostenargumentation geht es um digitalen Wirkungsgrad: Wie viel Nutzen erzeugt die Lösung pro investiertem Euro – bezogen auf Prozesse, Organisation und regulatorisches Risiko?
Fazit: Digitalisierung, die zu Ihnen passt
Digitalisierung funktioniert, wenn sie zur Organisation passt, nicht umgekehrt. Individuelle Software bietet Unternehmen die Möglichkeit, eigene Prozesse digital, compliant und zukunftssicher abzubilden. Wer seine Digitalisierung an den realen Prozessen und regulatorischen Anforderungen ausrichtet, schafft nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit statt teurer Kompromisse.
Empfehlungen für Entscheider:innen
- Starten Sie mit einem klaren Blick auf Ihre Prozesse, nicht mit dem Tool.
- Begreifen Sie Digitalisierung als langfristigen Wandel, nicht als Einzelprojekt.
- Denken Sie ganzheitlich – Kosten, Nutzen, Sicherheit und Wartbarkeit gehören zusammen.
- Verlassen Sie sich auf strategische Bewertungskriterien, nicht allein auf Branchentrends.
- Überprüfen Sie regelmäßig, ob Ihre Softwarestrategie noch zum Unternehmen, Markt und zur Regulierung passt.