Die aktuelle Faszination für die Blockchain-Technologie täuscht darüber hinweg, dass das Thema nach wie vor in den Kinderschuhen steckt. Mit dem Release der Version 1.0 von Corda stellt nun ein einflussreiches Konsortium aus der Finanzwelt das erste nutzbare Ergebnis seines spannenden Ansatzes vor. Eine Technologie, die auf den Prinzipien der Blockchain basiert – nur, dass sie ohne Blocks arbeitet. Ein Zwischenruf.
Ende 2015 riefen neun Banken das R3 Consortium ins Leben, um gemeinsam Anwendungen der Blockchain-Technologie für die Finanzwelt zu erforschen. Die Technologie kann Banken in Teilen überflüssig machen. Bevor also irgendjemand ihren Kunden die Technologie zur Verfügung stellt, wollen die Geldinstitute es lieber selbst tun. Das ist den eigentlichen Konkurrenten sogar ein Schulterschluss wert.
Die Idee, die das Konsortium verfolgt, nennt sich „Corda“ (italienisch, das Seil). Eine Transaktionsplattform, deren Technologie von der klassischen Blockchain abweicht. Denn Corda ist streng genommen keine Blockchain, da keine Blöcke verwendet werden. Man spricht daher auch lieber von einer Distributed Ledger Technology (DLT). Also einer technikbasierten, dezentralen Buchhaltung.
Unternehmen entscheiden selbst, welche Informationen sie teilen
Ähnlich wie bei Blockchain existiert allerdings auch bei Corda keine zentrale Instanz, die zum Beispiel Zahlungsvorgänge, den Besitz vor Wertpapieren oder die Kundendaten registriert. Diese Daten werden dezentral festgehalten.
Doch nicht jeder, der sich in das Netz einklinkt, bekommt alle Daten. Nur Sender und Empfänger sehen, was passiert, während „echte“ Blocks in der Blockchain für jedermann sichtbar sind, wenn auch mit anonymisierten Adressen. Ebenfalls anders ist, dass Unternehmen selbst entscheiden können, welche Informationen sie mit Nutzern teilen wollen.
Kern von Corda ist ein Netz lokaler Smart Contracts, die jeweils nur zwischen zwei oder mehreren direkten Kommunikationspartnern wirken. Im Vergleich zur Blockchain verteilt Corda aber nicht die gesamte Liste aller, sondern nur die bestätigten Transaktionen auf die Knoten. Die beteiligten Parteien sehen außerdem nur jene Transaktionen, die für sie relevant sind – ein weiterer Unterschied zur „klassischen“ Blockchain. Zur Verhinderung von ‚Double Spends‘ kommen sogenannte Notare zum Einsatz, außerdem bietet die Plattform für Regulierungsorgane “betreuende Beobachterknoten”, von denen aus sie das System überwachen können.
Das Who is Who der Bankenwelt macht mit
Vor allem für die regulierte Finanzbranche sind diese Abweichungen von der klassischen Blockchain-Technologie wichtig. Wenig verwunderlich also, dass das Konsortium inzwischen auf mehr als 100 Unternehmen angewachsen ist.
Unter den Mitgliedern sind mehr als 40 internationale Geldinstitute – die Liste liest sich wie das Who is Who der Branche: Barclays, Commonwealth Bank of Australia, Credit Suisse, Royal Bank of Scotland, UBS, Bank of America, Citi, Commerzbank, Deutsche Bank, HSBC, Morgan Stanley, Royal Bank of Canada, Société Générale, UniCredit, BNP Paribas, Wells Fargo, ING, Danske Bank, SBI Holdings of Japan, Bank Itau of Brazil, Toyota Financial Services etc. Ebenfalls mit an Bord sind auch die einschlägigen IT-Player wie IBM, Intel oder Microsoft
Anfang Oktober 2017 – nach zwei Jahren intensiver Arbeit und einem Invest von mehr als 100 Millionen Dollar – veröffentlichte das Konsortium nun die Version 1.0 von Corda. Gestartet als Lösungsansatz für den globalen Transaktionsmarkt internationaler Unternehmen war die Plattform über die Zeit auch zu einem nützlichen Tool für den Vertragsabschluss zwischen Unternehmen entwickelt worden. Mit dem Release der Version 1.0 sind R3-Mitglieder, -Partner und Open-Source-Entwickler erstmals in der Lage, eigene Anwendungen in der Corda-Umgebung zu testen und zu entwickeln, ohne dabei von zukünftigen Versions-Updates beeinflusst zu werden.
Noch fehlt die Praxis-Prüfung
Kann man nun also zur Implementierung schreiten? Nein, leider noch nicht ganz. Denn jetzt folgt der harte Teil der Analyse, die Prüfung funktionaler Anforderungen aus der Praxis: Transaktions- und Ende-zu-Ende-Performance, Effizienz bei der Kommunikation oder der Ausführung komplexen Smart-Contract-Codes, Verfügbarkeit von Wallets auf mobilen Plattformen, die Integration von sicheren Schlüsselspeichermedien, politische und regulatorische Anforderungen und vieles mehr.
Dank der massiven Unterstützung mächtiger Marktteilnehmer stehen die Chancen jedoch nicht schlecht, dass sich mit Corda eine neue Technologie durchsetzen wird. Auch Unternehmen aus anderen Branchen sind sicherlich gut beraten, die Entwicklung von Corda im Auge zu behalten. Eine Garantie für den Erfolg gibt es nicht.
Daher, wie gesagt, nur „ein Zwischenruf“